Klassische Bestimmungsbücher über alle Vögel einer Region oder eine spezielle Vogelgruppe stehen in den Regalen aller Ornis. Es gibt aber auch Bücher, die speziell schwierige Arten behandeln. Ein Klassiker ist Vogelbeobachtung für Fortgeschrittene (Harris, Tucker & Vincombe 1991, Kosmos) – bei Herausgabe war das Buch für mich eine Offenbarung. Endlich waren Limikolen und Seeschwalben (zumindest theoretisch) bestimmbar. Dazu kamen Zeichnungen, wie man sie zuvor aus Bestimmungsbüchern kaum kannte. Neuere Werke sind die Birding Frontiers Challenge Series (Garner 2014, 2015), die sich jedoch ganz klar an „Hard-Core-Birder“ richten.
Es gibt aber auch Bücher, die das „Know-How“ der Vogelbeobachtung näher erläutern. Eines meiner ersten Bücher in diesem Bereich hieß „Vögel beobachten“ (Bezzel 1989, BLV). Solche Bücher richten sich oft vor allem an Anfänger*innen der Vogelbeobachtung.
Vor einigen Jahren kam dann der „Grundkurs Vogelbestimmung“ (Moning, Griesohn-Pfleger & Horn 2010, Quelle & Meyer) – ein Buch, das die Grundlagen der Vogelbestimmung UND die Bestimmung vieler ähnlicher Arten zusammenfassten. Mittlerweile ist dieses Werk aber mehr als 10 Jahre alt und beinhaltete auch nicht alle „schwierigen Arten“.
Seit diesem Jahr gibt es aber wieder ein Werk, das beides ist: eine Einführung in die Vogelbestimmung und ein Bestimmungsbuch für schwierige Arten. Das „Handbuch Vögel beobachten – Ausrüstung und Technik, Vorbereitung und Praxis“ erschien bei Kosmos und ist auf dem aktuellen Stand der Vogelbeobachtung. Der Autor – Leander Khil – ist Biologe aus Österreich und ein bekannter Birder, der bereits einige andere Vogelbücher verfasst hat.
Der erste Teil des Buches ist die schon erwähnte Einführung ins Hobby mit typischen Themen wie Vögel im Jahreslauf, Fotografie aber auch verantwortungsvolles Verhalten in der Natur. Auch Plattformen wie ornitho werden behandelt. Die Tipps zur Vogelbeobachtung sind für Anfänger extrem hilfreich, praktisch umsetzbar und selbst erfahrene Ornis werden noch auf Hinweise stoßen, die man bisher nicht so gut ausformuliert gelesen hat. Die Themen sind meist biologisch nicht tiefgreifend behandelt, wirken aber auch nicht oberflächlich. Das Buch richtet sich aber ganz klar an Birder und ist kein Fachbuch der Ornithologie. Was vielleicht erstmal negativ klingt, ist aber tatsächlich die große Stärke des Buches. Die didaktische Reduktion wurde richtig gut umgesetzt und es wird sich auf wesentliche Aspekte, die für Vogelbeobachter*innen wichtig sind konzentriert. Das spannende Warum der evolutionsbiologischen und verhaltensökologischen Fachfragen in der Ornithologie wird man andernorts selbstverständlich besser finden. Fotos (Leander Khil ist meist auch Bildautor), Abbildungen und auch die Beschriftungen sind hilfreich. Das Lernen erfolgt dabei quasi nebenbei – etwas das in deutschsprachigen Lehrbüchern lange Jahrzehnte die Ausnahme war, in englischsprachigen Lehrbüchern aber schon seit Jahrzehnten Standard ist. Alle genannten Beispiele sind praxisnah und sowohl häufige als auch seltene Arten werden eingestreut, so dass Anfänger*innen und Fortgeschrittene sich angesprochen fühlen. Feinheiten der Bestimmung wie Gefiederzustände oder Handschwingenprojektion & Co genauso wie Gestaltmerkmale ziehen sich durch das gesamte Buch.
Der zweite Teil des Buches ist sicher für viele Ornis der noch spannendere Teil. Auf rund 120 Seiten werden ähnliche Arten besprochen. Es gibt meist einen kurzen Textteil und dann aussagekräftige Fotos und ausgezeichnete Abbildungen von Paschalis Dougalis. Dieser Teil allein rechtfertigt die Anschaffung des Buches. Bilder und Abbildungen sind für mich meistens ausreichend groß. Die Artauswahl ist insgesamt sehr sinnvoll und beinhaltet die meisten Arten, die man an dieser Stelle auch erwarten würden: Limikolen, Taucher und Seetaucher werden vorgestellt, besonders ausführlich werden Greifvögel und Möwen vorgestellt – der Autor macht aber auch keinen Hehl daraus, das letztere weitere Spezialliteratur erfordern. Dennoch wird man hier sehr viel weiterkommen als in den meisten bekannten Bestimmungsbüchern. Auch Singvögel wie Laubsänger, Rohrsänger oder Sumpf- und Weidenmeise werden gut behandelt. Ganz extreme Seltenheiten in Mitteleuropa fehlen (bei den Laubsängern gibt es aber durchaus noch Bestimmungsangaben zu Gelbbrauen- und Goldhähnchenlaubsänger, Schwarzflügel- und Rotflügelbrachschwalben werden behandelt etc.). Gibt es innerhalb dieses Fokusbereichs dennoch Lücken bei den behandelten Artengruppen? Aus meiner Sicht ja – die Rallen hätten eine weitere Behandlung verdient. Auch der Merlin und die Spornammer (Kappenammer und Waldammer werden abgebildet) fehlen mir und (Polar-)Birkenzeisige sind auf ein einzelnes Foto im ersten Teil begrenzt. Auch Küstenornis werden einige Seevögel vermissen (Alke und Röhrennasen), Raubmöwen finden jedoch die verdiente Aufmerksamkeit. Fehler im Buch sind erfreulich selten. Der Berglaubsänger leben neben den Alpen vor allem in Südwesteuropa – nicht in Südosteuropa, wie im Buch angegeben. Hier brütet der Balkanlaubsänger, aber diese Kleinigkeiten mindern die Qualität des Buches nicht.
Das Handbuch Vögel Beobachten ist aber eigentlich sogar dreigeteilt. Mit dem dritten Teil ist nicht der Anhang (Literaturverzeichnis) gemeint, sondern die begleitende Kosmos-Plus-App. Hier finden sich 177 Vogelstimmen und Videos. Eines der Videos konnte auf meinem Tablet nicht abgespielt werden, die anderen (z.B. Flussuferläufer mit typisch wippendem Schwanz oder Albatros-Pose der Steppenmöwe) sind hilfreich und sinnvoll. Die meisten Tonaufnahmen sind bekannte Aufnahmen von Jean C. Roché. Das mag für einige eine echte Hilfe sein, aber Aufnahnmen ohne Ort und Datum sollten längst der Vergangenheit angehören – das Internet bietet hier mehr (www.xeno-canto.org). Trotz der (nicht immer ganz stringenten) Trennung zwischen Rufen und Gesängen wird nicht erklärt, was dort zu hören ist, denn ganz unterschiedliche Lautäußerungen werden aneinandergereiht. Außerdem wurden Splits in der App nicht berücksichtig (Beispiel „Weißbart-Grasmücke“ – die Tonaufnahme der Rufe ist vielleicht von Sylvia [cantillans] iberiae). Letztlich wurden also oft nur alte Tonaufnahmen aus dem Verlagsarchiv recycelt. Die App ist insgesamt damit zwar ein netter Bonus, aber auch eine vergebene Chance.
Fazit. Das Buch lässt sich aufgrund des angenehmen Schreibstils von vorne bis hinten durchlesen und das lohnt sich: Eine klare Kaufempfehlung für ein richtig starkes Vogelbuch. Es schließt in vielen Orni-Regalen eine wichtige Lücke und verdient es, Leser*innen mit ganz unterschiedlichem Vorwissen zu finden. Wenn jetzt noch die App optimiert wird und die nächste Auflage einzelne Bestimmungstafeln zusätzlich bekommt, wäre ich restlos zufrieden.
Darius Stiels
Handbuch Vögel beobachten
Kosmos-Verlag.
246 x 178 x 28 mm (LxBxH)
1. Auflage 2021
Umschlag/Ausstattung: 650 Farbfotos, 30 Farbzeichnungen
Seiten: 304
Preis: 34,00 €