Buchbesprechung – Collins Bird Guide
Im Jahr 1999 erschien der „Collins Bird Guide“, in Deutschland besser bekannt als „Kosmos-Vogelführer“ oder einfach „Der Svensson“. Obwohl es in den 1990ern bereits tolle Bestimmungsbücher gegeben hatte (z.B. „Vögel Europas“ von Lars Jonsson), war es ohne Frage ein Meilenstein für die europäische Bestimmungsliteratur und gilt bis heute als das Standardwerk, das mittlerweile schon mehrere Generationen an Ornis im Feld mit sich tragen (als Buch oder App). Sowohl die Texte von Lars Svensson und dem mittlerweile leider verstorbenen Peter J Grant als auch die Farbtafeln von Killian Mullarney & Dan Zetterström gehören zum Besten, was es in diesem Bereich gibt und bilden die Messlatte für alle vergleichbaren Werke.
Seit der Jahrtausendwende gab es natürlich neue Erkenntnisse, die bereits vor zehn Jahren in einer zweiten Auflage mündeten. Aber auch seitdem hat der Wissenszuwachs nicht pausiert. Mit Spannung wurde deshalb die dritte Auflage erwartet, die Ende letzten Jahres auf Englisch herauskam (das eigentliche Original ist in schwedischer Sprache). Seit Kurzem erschien das Werk auch als Taschenbuch sowie in einer deutschen Version als „Kosmos-Vogelführer“. Die folgende Besprechung bezieht sich auf die kostengünstigere englische Taschenbuchversion. Sie hat außerdem den Vorteil, dass Lesende von den nicht allgemein anerkannten neuen deutschen Vogelnamen der DO-G verschont bleiben, aber die meisten Punkte sollten auch für die deutsche Version gelten.
Die dritte Auflage enthält gegenüber der zweiten Auflage 32 Seiten mehr. Es gibt neue Abbildungen und die Texte wurden vielfach überarbeitet. Die Raufußhühner werden ausführlicher dargestellt, der Pazifiktaucher wurde ergänzt (wer genau hinschaut, erkennt ein Merkmal auf den Abbildungen, das im Text leider nicht erwähnt wird). Die besonders schwierigen Greifvögel erhalten mehr Platz – das Bild der Geier am Aas ist nicht nur ästhetisch und didaktisch klasse, die Bildbeschriftung („youthful foolishness“) macht auch einfach gute Laune. Die schwierig zu bestimmenden Weihen erhalten nun mehr Platz. Der Shikra wurde neu aufgenommen, einzelne Bilder des Kurzfangsperbers wurden dafür ausgetauscht. Im Einzelfall bedeutet das aber auch, dass Informationen, die sich vorher in den Bildbeschriftungen fanden, nun leider nur noch im Text Erwähnung finden – wohl einfach ein dem Platz geschuldeter notwendiger Kompromiss. Bei den Seeschwalben sind die neuen Merkmale zur Orientseeschwalbe hervorzuheben. Auch bei Spechten, Seglern, Schwalben und in der Fliegenschnäpperverwandtschaft gibt es einige Änderungen. So bekommt das Rotkehlchen mehr Farbtafeln und das Occipitalgesicht der Haubenmeise gehört zu den phantastischen Kleinigkeiten, durch die schon ein bloßes Stöbern im Buch lohnend wird. Bei einigen Ammern gibt es nun sehr schöne Lebensraumbilder, bei der Grauammer leider auf Kosten des Flugbildes.
Die grundlegende Systematik des Buches hat sich nicht verändert. So folgt die Reihenfolge keineswegs aktueller Systematik, sondern älteren Ansätzen. Aus pragmatischen Gründen ist das nachvollziehbar, für die Ornis, die leider manche Bestimmungsbücher mit systematisch-taxonomischen Werken verwechseln, vielleicht aber auch verwirrend. Auf Artebene wird keineswegs alles gesplittet, was sich mittlerweile in vielen Listen findet. Allerdings werden charakteristische Unterarten (z.B. beim Mittelmeer-Steinschmätzer) vorgestellt, so dass das in den meisten Fällen die Nutzbarkeit des Buches nicht einschränkt. Nicht so gut ist es vielleicht beim nicht konsequent abgetrennten Mittelmeer-Grauschnäpper, wo nur die Unterart der Balearen gesondert hervorgehoben wird. Dass die Unterart Sardiniens und Korsikas (mittlerweile auch oft zum Mittelmeer-Grauschnäpper gezählt) unerwähnt bleibt, ist schade.
Auch der Aufbau hat sich nicht verändert. Das Buch beginnt (wie die Vorgänger) mit der herausragend guten Einleitung, die nicht überblättert werden sollte. Es gibt einen Hauptteil und Anhänge, in denen sich ebenfalls Kurzbeschreibungen der Arten finden. Hier sind Artkapitel für klassische Ausnahmeerscheinungen und eine Tabelle extremer Ausnahmeerscheinungen, von denen es meist nur ein bis fünf Nachweise in der Westpaläarktis gibt. Auch ein Teil mit Neozoen findet sich am Ende. Letztlich ist diese Einteilung aber für Anfänger:innen verwirrend und auch nicht wirklich konsequent. Nilgans und Streifengans finden sich im Hauptteil bei den Gänsen, Braut- und Mandarinente im Anhang, wo – aus Bonner Sicht unpraktisch – auch Halsbandsittich und Alexandersittich versteckt sind. Ganz ungewöhnlich wird es beim Fasan. Die Wildform, natürlicherweise in Europa im Kaukasus heimisch, findet sich im Hauptteil, ausgesetzte Vögel finden sich im Neozoen-Anhang mit den anderen nicht-heimischen Fasanenarten. Dort wäre aber zudem eine Abbildung eines jungen Fasans sicherlich hilfreich. Gänzlich fehlen mir auch Abbildungen eines Kanadagans-Graugans-Hybriden, einer Kanadagans mit ungewöhnlich viel weiß am Kopf oder Abbildungen von Hausenten bzw. fehlfarbenen Stockenten. Zumindest bei mir kommen immer wieder Bestimmungsanfragen zu diesen Vögeln an.
In den Anhängen hat das künstlerische Team Unterstützung durch Hans Larsson erhalten – seine ausgezeichneten Möwenbilder sind sicherlich vielen bekannt. Die Abbildungen unterscheiden sich jedoch stilistisch deutlich von den anderen Abbildungen und gefallen mir vereinzelt auch nicht so gut, sind aber dennoch überwiegend auf hohem Niveau. Grundsätzlich wäre es meines Erachtens viel besser, die Arten des Anhangs im Hauptteil unterzubringen. Hier gibt es ja eh bereits etwas enger gepackte Tafeln mit Ausnahmeerscheinungen (z.B. bei den Limikolen), so dass letztlich der Umfang des Buches dadurch vermutlich nur geringfügig gewachsen wäre.
Das Buch umfasst Europa inklusive des Kaukasus, die Kanaren die Türkei, die Levante inklusive Jordanien und der Sinai-Halbinsel sowie Nordafrika nördlich des 30. Breitengrades. Die Verbreitungskarten sind gegenüber der letzten Auflage verbessert worden, das Literaturverzeichnis dazu ist entsprechend umfangreich, der zweite Europäische Brutvogelatlas (www.ebba2.info) erschien aber wahrscheinlich zu knapp vor Fertigstellung, um diese Informationen vollständig aufzunehmen. Auch die (ungefähre) Verbreitung von Unterarten findet sich nicht auf den Karten, wohl aber im Text. Im Einzelfall ließe sich also hie und da Kritik anbringen, aber in Zeiten von ornitho.de, dem Eurobirdportal u.a. lässt sich das verkraften.
Der Druck ist in meiner Ausgabe auf einigen Tafeln deutlich heller und leuchtender als in der zweiten Auflage. Das ist erstmal positiv, auf einigen Seiten erscheint es nun aber auch zu viel des Guten und die Farben wirken etwas zu hell – zwischen den alten und den neuen Abbildungen des Weißkehlsängers liegen z.B. deutliche Unterschiede. Wer Erfahrung mit dieser Art hat, mag entscheiden, welche Bilder den Eindruck aus dem Feld besser widerspiegeln.
Das Fazit fällt aber insgesamt – wohl wenig überraschend – positiv aus. „Collins Bird Guide“ bleibt in seiner dritten Auflage der beste Feldführer für Vögel in Europa mit gezeichneten Abbildungen. Aktuelle Konkurrenz mit vergleichbarem Umfang und Niveau gibt es meines Erachtens bei Foto-Bestimmungsbüchern (Swash et al., Die Vögel Europas.).
Ist die dritte Auflage auch dann notwendig, wenn man bereits die zweite hat? Für „Hardcore-Birder“ stellt sich die Frage kaum – wer will schließlich nicht die aktuellsten Informationen? Aber auch etwas objektiver betrachtet gibt es so viele Ergänzungen, dass sich die Frage für mich eindeutig mit einem Ja beantworten lässt.
Darius Stiels